Der Stopp der Dublin-Überstellungen in Italien und die Grenzkontrollen an der deutschen Grenze wirken sich auf die Schweiz aus. Der politische Druck wächst.
Das Dublin-System steht massiv in der Kritik und gilt als gescheitert: Gleichzeitig fühlten sich diejenigen zunehmend unter Druck gesetzt, die sich an die Regeln halten, so zum Beispiel die Schweiz, sagt ein Migrationsexperte.
Italien hat die Dublin-Überstellungen seit Dezember 2022 ausgesetzt, was dazu führt, dass die Schweiz die Verantwortung für immer mehr Asylsuchende übernehmen muss. Gleichzeitig hat Deutschland seit knapp einem Jahr die Grenzkontrollen zur Schweiz verstärkt, wodurch Tausende von Geflüchteten zurückgeschickt wurden.
Laut Migrationsexperte Benjamin Schraven zeigt die aktuelle Situation erneut, dass das Dublin-Verfahren gescheitert ist. Es sei zum Beispiel nicht das erste Mal, dass Erstankunftsländer wie Italien Leute durchwinken und sich weigern, sie zurückzunehmen, wenn es um Überstellungen geht. «Dublin ist marode, wenn nicht sogar sterbenskrank.» Alleine schon, dass die deutschen Grenzkontrollen und das Verhalten Italiens bereits seit längerer Zeit folgenlos bleiben, sei ein Eingeständnis, dass das System nicht mehr funktioniere. Gleichzeitig fühlten sich diejenigen zunehmend unter Druck gesetzt, die sich an die Regeln halten, so zum Beispiel die Schweiz.
Das italienische Asylsystem ist wegen der grossen Anzahl eintreffender Geflüchteten überfordert. Deshalb hat das Land im Dezember 2022 die Dublin-Überstellungen ausgesetzt. Das heisst: Italien nimmt keine Asylsuchenden zurück, obwohl es gemäss Dublin-Abkommen für die Menschen zuständig wäre. Das betrifft auch die Schweiz direkt. Denn: Wenn eine Person nicht innerhalb von sechs Monaten zurückgeführt wird, ist die Schweiz für sie verantwortlich.
Wie die «NZZ am Sonntag» berichtet, ist seit Beginn des italienischen Stopps die Überstellungsfrist für 906 Asylsuchende abgelaufen. Alleine dieses Jahr habe sich die Zahl fast verdoppelt, heisst: Die Schweiz muss diese Asylverfahren nun übernehmen.
Gleichzeitig führt Deutschland seit Oktober 2023 an der Grenze zur Schweiz stationäre Kontrollen durch. Wie eine neue Statistik der Bundespolizei zeigt, wurden 2023 über 18’000 «unerlaubt eingereiste Personen» an der Grenze registriert, über 15’000 wurden in die Schweiz zurückgeschickt. Im ersten Halbjahr 2024 waren es laut SWR rund 6’000 illegale Migranten.
Ganze 144 Mal stand das Thema Asyl auf der Traktandenliste von National- und Ständerat – alleine dieses Jahr. Zum Vergleich: Beim Thema Krankenkasse liefert die Suche auf der Parlamentswebseite 61 Geschäfte. Viele der Motionen, Fragen und Interpellationen stammen von der SVP. Das Asyldossier ist allerdings in den Händen von SP-Bundesrat Beat Jans – auch weil die SVP-Bundesräte Guy Parmelin und Albert Rösti bei der Departementsverteilung letzten Dezember in ihren Departementen bleiben wollten.
Zuletzt schoss die SVP bei einer Medienkonferenz Ende Juli scharf gegen den Basler Justizminister. Die SVP fasste die bisherige Amtszeit von Jans als «200 Tage Versagen» zusammen. Zu Dublin heisst es in einem begleitenden Positionspapier: «Unser Bundesrat ist der Meinung, Grenzkontrollen nützten nichts – und sie gefährdeten Schengen-Dublin». Doch, so die Meinung der SVP, gerade die verschärften Kontrollen von Frankreich und Deutschland bewiesen das Gegenteil. Erst am Sonntag verwies Fraktionschef Thomas Aeschi wieder auf die neuesten Zahlen aus Deutschland und forderte Grenzschutz.
Abhilfe erhofft sich die EU derzeit mit dem im Frühling bestimmten Asylpakt. So soll es künftig an den Aussengrenzen Europas Asylverfahren geben und Personen, mit geringen Aufnahmechancen an der Weiterreise gehindert werden. Inwiefern die neuen Gesetze innerhalb der europäischen Grenzen eine Erleichterung bringen, wird sich zeigen. Experten haben daran bereits ihre Zweifel.