Das Misstrauen gegen das «Soft Law» ist mehrheitsfähig. Der Ständerat will, dass die Regierung die Migrationspolitik selbst in die Hand nimmt.
Die Schweiz will keine unverbindliche Zusagen zu internationalen Abmachungen, die eines Tages «dynamisch» weiterentwickelt und gegen einen verwendet werden können.
Wie aussichtslos die Lage für den Bundesrat und die Ratslinke war, zeigte sich spätestens, als Carlo Sommaruga an der Reihe war. Der Langzeitparlamentarier aus Genf sah sich genötigt, Angela Merkel aus dem Archiv der Zeitgeschichte zu holen. Im Dezember 2018, so blickte der SP-Ständerat zurück, habe die damalige Bundeskanzlerin klargemacht, dass der UN-Migrationspakt für alle Länder dieser Welt gültig sei, auch für diejenigen, die ihn ablehnten.
Sommaruga, Fürsprecher von «la Genève internationale», versuchte in seinem Votum, aus dem Pakt einen völkerrechtlich anmutenden Vertrag zu machen – was er nicht ist. Es handelt sich lediglich um eine internationale Vereinbarung, die helfen soll, die weltweiten Migrationsbewegungen zu koordinieren. Merkel, Migration und über allem die Uno: Das aus der Zeit gefallene Geschäft hatte in diesem Ständerat von heute keine Chance.
Die Debatte vom Dienstagvormittag war bereits die dritte, in der die bürgerliche Mehrheit des Ständerats dem Bundesrat kundtat, was sie vom UN-Migrationspakt hält: nämlich gar nichts. Seit sechs Jahren will die Landesregierung um Aussenminister Ignazio Cassis, dass die Schweiz im Namen der Bundesversammlung dem Pakt «zustimmt» und dessen Leitprinzipien und Ziele «befürwortet».
In einem abgestuften Verfahren kam der Ständerat schliesslich zum Schluss, dem Migrationspakt nicht zuzustimmen. Die Schweiz solle sich in der Uno-Generalversammlung dazu auch weiterhin der Stimme enthalten. Die Leitziele des globalen Pakts nimmt man lediglich zur Kenntnis. Das soll reichen. Die Vereinbarung sieht unter anderem vor, «positive Auswirkungen» der Migration zu optimieren. Diese stelle «in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung» dar, heisst es im Pakt. Merkels Nachfolgeregierung sieht das offenbar anders. Seit Montag kontrolliert Deutschland sämtliche Aussengrenzen. Dies unter einem sozialdemokratischen Kanzler und einer sozialdemokratischen Innenministerin – was die Aufgabe der linken Ständeräte bei der Debatte nicht gerade einfacher macht.
Dabei hantierten sie mit zwei denkbar ungünstigen Argumenten. Sommaruga macht sich vor allem Sorgen um das schlechte Image, das die Schweiz (Subtext: einmal mehr) abgeben würde, wenn sie dem Pakt nicht zustimmen würde. Daniel Jositsch wiederum wollte den Pakt so wichtig wie möglich und gleichzeitig so nutzlos wie nötig darstellen. Der Pakt wolle, «auf eine zaghafte, vorsichtige Weise und ohne Verpflichtung einmal grob gewisse Linien vorgeben», sagte der Zürcher SP-Ständerat.
Der typisch schweizerische Gedanke «Nützt es nichts, so schadet es auch nicht» mag in Bundesbern hinter noch so vielen Regelungen und Gesetzen stehen. Gegen sogenanntes Soft Law, das, wie der Uno-Migrationspakt, juristisch nicht bindend ist, dafür aber politisch-moralisch verpflichtend wirkt, hat der Ständerat einen Abwehrreflex entwickelt.